Gedanken auf dem Weg in den Stall

Hast du dir schon mal die Frage gestellt, warum es an manchen Tagen im Stall mit deinem Pferd einfach nicht so klappen will, wie erhofft oder geplant? Hast du schon mal überprüft, wo du gedanklich warst in diesem Moment? Vielleicht hast du gerade eine stressige Phase bei der Arbeit oder im Alltag außerhalb des Stalls? Pferd sind wahnsinnig sensible Tiere, die schon in der ersten Sekunde genau spüren, wie es dir geht. Ob deine Schritte angespannt sind, deine Handgriffe fahrig und unkonzentriert. Ihnen kannst du nichts vormachen. 

Aber eigentlich ist das doch wundervoll und wir sollten für uns selbst den Nutzen daraus ziehen, dass unsere Pferde unsere Seele spiegeln. Mein Jahr 2019 war ziemlich turbulent, von einigen Verletzungen und Umstellungen im Alltag geprägt und ich konnte beobachten, dass ich mit vielen Kundenpferden und Reitschülern tolle Fortschritte erzielen konnte, jedoch die Arbeit mit meinem eigenen Pferd stockte und sich sogar eher rückwärts entwickelte. Nach meinem Reitunfall mit Haarriss an der linken Hand habe ich zunächst erstmal gar nicht mehr mit ihm arbeiten können. Dabei musste ich beobachten, wie er natürlich muskulär immer schlechter dastand und der Stoffwechsel auch irgendwie entgleiste. Das Ganze gipfelte dann in einer schlimmen Bronchitis. Gott sei Dank zu einem Zeitpunkt, an dem ich noch krankgeschrieben war bzw. Urlaub hatte und meine Hand aber schon so weit genesen war, dass ich viel Zeit mit ihm verbringen konnte und alles dafür tun konnte, dass es ihm bald wieder besser ging. In diesen Wochen hatten wir eine sehr intensive Beziehung und haben uns beinahe telepathisch verstanden, auch als ich wieder beginnen konnte, ihn unterm Sattel zu arbeiten. Er hat sich trotz seines Trainingszustandes und der Reitpause wirklich täglich viel Mühe gegeben und mir vieles geschenkt. Kurz darauf fing ich wieder an zu arbeiten, hatte wieder sehr viele Unterrichtstouren und viel zu tun, sodass er leider wieder etwas kürzer kam. Wenn ich am Stall war, habe ich mir immer viel Zeit genommen, aber es gab natürlich doch wieder den ein oder anderen freien Tag oder nur mal eine kurze Einheit, da mir dann die Zeit davon lief. Ich war selbst überhaupt nicht zufrieden damit, denn ich hasse es, wenn mir der Blick auf die Uhr verrät, dass ich nur wenige Minuten Zeit für mein Seelenpferd habe. 

In letzter Zeit habe ich nun angefangen, auf dem Weg zum Stall möglichst alles abzuschütteln, was mich gerade bewegt. Dazu führe ich keine Telefonate mehr im Auto, außer es sind welche, bei denen ich weiß, dass sie nicht dazu führen, dass mein Puls kocht und ich mir den Kopf zu einem bestimmten Thema zerbreche. Ich höre entspannte Musik, freue mich auf die Zeit mit meinem Pferd, denke über die letzten Einheiten mit meinem Pferd nach oder höre ein gutes, ruhiges Hörbuch. 

Seitdem ich das konsequent mache und nicht zwischen Tür und Angel und Telefon mal schnell mein Pferd von der Koppel hole, kommt er tatsächlich täglich freudig auf mich zu. Er ist trotz Stallwechsel total ruhig und konzentriert, lässt sich wie gewohnt in Ruhe arbeiten und geht auch im unbekannten Gelände überall mit mir hin ohne zu überlegen. 

Natürlich gibt es auch Tage, an denen es mir nicht gelingt, mich voll und ganz vom Alltag zu lösen und mich nur auf das Hier und Jetzt mit meinem Partner Pferd einzulassen, aber selbst dann versuche ich es trotzdem. Das merkt er natürlich und fairerweise machen wir dann nur etwas Handarbeit oder einen Spaziergang und lassen das Reiten sein. Jede Art von geistiger Angespanntheit bewirkt körperliche Verspannungen, beim Reiter und beim Pferd. Beim Pferd kann ich versuchen, diese zu lösen, wenn ich aber selbst schon angespannt im Stall ankomme, ist es nicht so ganz fair, das bei meinem Pferd abzuladen und auch noch auf seine therapeutischen Zauberkräfte zu hoffen, um dann mit besserer Laune nach Hause zu gehen. Denn wenn wir uns mal ganz ehrlich selbst fragen, ob das denn wirklich immer klappt, dass wir schlecht gelaunt oder gestresst in den Stall gehen, eine Einheit reiten und es uns dann tatsächlich besser geht.... kommen die Meisten bestimmt darauf, dass da meisten Einheiten dabei herauskommen, die man auch schnell wieder vergessen möchte. 

 

Unsere Pferde haben nicht die Aufgabe unserer Alltag zu kompensieren. Sie sind aber sprichwörtlich der Spiegel unserer Seele. Mit etwas Selbstreflexion erlauben sie uns selbst den Weg zu unserem inneren Frieden zu finden und unsere Balance herzustellen. 

Wie wichtig es ist, Stress und Angespanntheit abzulegen, um gesund zu bleiben, dazu findet ihr sicher genügend Fachartikel im Netz. Das Gleiche gilt aber natürlich auch für unsere Pferde. Auch für sie hat Stress negative Auswirkungen auf die Gesundheit ihres Körpers (auch dazu gibt es genügend Fachartikel im www).

 

In diesem Sinne - be fair to the horse! 

 

 

Mein persönlicher Tipp für die Autofahrt in den Stall: 

Hörbuch Vertikal 1 - Manuel Jorge de Oliveira 

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